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Schweizer Gesangsfestival 2022 10.06.2022

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Ein Streifzug durch die Schnupper-Ateliers am SGF 22

Gregorianischer Gesang

Mein erster Halt führt mich zu Pater Daniel Emmenegger. Er leitet die «Schola», die Gruppe für Gregorianischen Gesang am Kloster Einsiedeln. Wir erhalten ein Notenblatt mit Quadratnoten und merkwürdigen Zeichen darüber, sogenannten Neumen, die den Melodieverlauf zeigen. Wir versuchen uns an der Einstimmigkeit, was angesichts der vielen Melismen (Verzierungen) und des Lateins nicht gerade einfach ist. Trotzdem spüren wir sofort, wie die Schlichtheit dieser Musik einen eigentümlichen Sog entfaltet.

Voller Begeisterung erzählt uns Pater Daniel von seiner ersten Begegnung mit dem gregorianischen Choral, dessen Einfachheit ihn zuerst irritierte. Mit der Zeit eröffnete sich ihm damit aber ein ganzes Universum. Der Gregorianische Gesang entstand, so erfahren wir, im 8./9. Jahrhundert n. Chr. und ist die Frucht der Begegnung zwischen Mittel- und Südeuropa. Karl der Grosse wollte den kirchlichen Gesang vereinheitlichen und sandte deshalb Mönche aus, damit sie den Kollegen weiter im Norden die «richtige» Singweise lehrten. Die Begegnung verlief nicht reibungslos, da die Mönche die jeweils andere Art des Gesangs als abstossend empfanden. Das Ergebnis dieser langjährigen Auseinandersetzung hat eine Schönheit, die uns noch heute berührt und uns mitten im Festivaltrubel einen kontemplativen Moment erleben lässt.

 

Circle Singing

Als nächstes versuche ich mich im Circle Singing. Das ist nicht einfach, wie der Name vermuten lässt, Singen im Kreis. Beim Circle Singing ist Improvisieren gefragt. Stimmakrobat «Martin O.», der auch an der Eröffnungsfeier des SGF 22 das Publikum mit seiner Kunst erfreute, wirft uns mit voller Wucht ins kalte Wasser. Wir stellen uns in einer kleineren Gruppe in einen Kreis, umgeben von den anderen Teilnehmenden, die zuhören. Er verteilt uns als Hilfsmittel eine Augenbinde. Sie soll dabei helfen, unser akustisches Sensorium zu schärfen.

Martin O. beginnt mit einem kurzen Pattern und sogleich singt eine nach dem anderen etwas Neues dazu. Nach und nach entwickelt sich eine eigene Musik, die ganz aus dem Moment heraus entsteht. Eine Herausforderung, wenn man es sich gewohnt ist, im Chor immer nach Noten zu singen. Nach einer Weile beginnen wir, uns auf die Muster der anderen zu beziehen. Erstaunlich, welch ungewohnte Miniaturen in diesen kurzen Sequenzen entstehen: Vom langsamen meditativen Tongebilde bis zu Urwaldgeschrei ist alles möglich. Der krönende Abschluss bildet ein grosser Circle Song mit allen Sänger:innen. Ein musikalisch erfrischendes Erlebnis.

 

Jodeln

Wir sitzen gespannt auf unseren Stühlen und erwarten, dass uns Nadja Räss gleich zum Jodelatelier begrüsst. Und sie tut es – aber wie! Ihre klare und kräftige Stimme ertönt in einem wunderschönen Naturjodel, der mir augenblicklich Gänsehaut bereitet. Beginn geglückt: So etwas möchte frau auch können! Dass alle jodeln lernen können, versichert sie uns gleich zu Beginn und hat damit unseren Eifer erst recht geweckt. Zuerst wärmen wir uns ein, denn jodeln, so Nadja Räss, ist ein Ganzkörpertraining. Wir entdecken unsere Bruststimme, indem wir kräftig fluchen, singen feine Töne in der Kopfstimme und lernen den schnellen Wechsel, der etwas brutal auch als «Kehlkopfschlag» bezeichnet wird. Zwischendurch fügt die ursprünglich klassisch ausgebildete Sängerin immer wieder kurze Theoriesequenzen ein, in denen sie uns das Stimminstrument erklärt. Danach singen wir alle gemeinsam einen Jodel: Ein Teil der Sängerinnen und Sänger singt die Begleitung mit einfachen Akkorden und eine Gruppe gestaltet die Jodelmelodie dazu. Die Harmonien strömen durch unseren ganzen Körper, ein intensives Gefühl! Ich gehe erfüllt und voller Lust, meine neue Jodelstimme zu entdecken, hinaus.

Pater Daniel Emmenegger

Circle Singing mit Martin O.

Nadja Räss

Isabelle Schmied