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Musik 11.05.2020

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Musik von A bis Z: W wie Wagner

Selten wecken Komponisten noch 137 Jahre nach ihrem Tod so viele Emotionen – positive und negative. Es gibt viele Vorteile, oft von Menschen, die noch nie eine Note dieses Komponisten gehört haben. Statt die Biografie Wagners nachzuzeichnen oder Aufnahmen seiner Arbeit aufzulisten, versuchen wir, einige dieser Vorteile und andere Gemeinplätze zu entschlüsseln.

 

Wagner ist laaaaaang

In ein Zeitalter des Multitaskings, Internets und Fastfoods passt es nicht, über vier Stunden im Opernhaus zu sitzen und einer Parsifal-Aufführung beizuwohnen. Wagner entwickelte die Breite, Intensität und Dichte seiner Musik mehr oder weniger unbewusst, mitgerissen von seiner Musik im Schaffensprozess. Tristan sollte ursprünglich ein einfaches Stück sein, eine heitere bürgerliche Komödie. Beide Stücke gehören nun wahrscheinlich zu den schwierigsten, die im Theater aufgeführt werden können, unter anderem wegen der Länge, die die Sänger bewältigen müssen und dabei stimmlicher und körperlicher Ermüdung ausgesetzt werden.

 

Wir werden nicht lange über den Ring sprechen, der etwa 15 Stunden dauert, verteilt über vier Tage. Dieses Werk wirft Probleme auf, die manchmal auch komisch sind. Zunächst einmal wegen der Gewerkschaften der Orchester, die Theaterverwalter müssen sich vor den vielen Überstunden in Acht nehmen und ihre Sparschweine entsprechend schlachten! Schliesslich für die Zuschauer selbst, die in der Pause etwas essen müssen, um durchzuhalten.

Eine Anekdote aus Bayreuth: Die Köche grillen Bratwurst im Voraus, damit sie für die Pause bereit sind. Sie tun dies auf der Grundlage des Zeitplans des letzten Festivals. Aber... das Tempo eines Levine oder eines Boulez ist nicht dasselbe, was zur Folge hatte, dass die Würste in einem Jahr nicht fertig waren und im nächsten  verbrannt wurden. Aber, genug der Rede von der Bratwurst, bei der Suche im Internet haben wir zwei Gegenbeispiele gefunden. Die WWV84-Klavierpolka dauert knapp vierzig Sekunden.

https://www.youtube.com/watch?v=q_Br_y2KwbU

Die deutsche Feuerwehr-Ode für Männerchor dauert ebenfalls nur 30 Sekunden.

Wagner? Es wird nicht gesungen, sondern geschrieen!

Wagner-Orchester sind oft riesig. Es ist ein integraler Bestandteil des Dramas und nicht nur dazu da, die Sänger*innen zu unterstützen. Es ist also wahr, dass es eine ziemliche "Brust" braucht, um hundert Musiker*innen ohne Mikrofon gegenüberzustehen.

Um es kurz zu machen: Opernsängerinnen und -sänger lassen sich in zwei Kategorien einteilen.

- Die lyrischen Stimmen, ideal für Händel, Mozart und Belcanto, singen wunderbar schwierige Passagen und gehen dabei mit Leichtigkeit von tiefen zu hohen Tönen über.

- Heroische oder dramatische Stimmen, kräftiger, aber weniger geschmeidig.

Der Unterschied ist derselbe wie zwischen einem Tänzer und einem Gewichtheber. Der wagnerianische Sänger gehört zur zweiten Kategorie. Er muss aber auch zu grosser Sanftmut und lyrischen Impulsen fähig sein, wie das Beispiel unten, der Liebestod aus Tristan und Isolde, zeigt. Natürlich hat die Interpretin (Jessie Norman) eine "riesige" Stimme, aber sie ist in der Lage, die schönsten Pianissimi auszudrücken und mit ihrer tadellosen Technik über das Orchester zu schweben, ohne jemals zu forcieren. Eine Anmerkung, um die intensiven Emotionen noch zu verstärken: Karajan, der das Orchester hier dirigiert, wusste ganz genau, dass er am Ende seines Lebens stand und dass dies sein Abgesang war.

https://www.youtube.com/watch?v=RQufqZ2w2B4

 

Wagner = Nazi

Ja, Wagner schrieb Grauenvolles gegen die Juden. Dieser Antisemitismus muss jedoch in einen Kontext gestellt werden, ohne ihn - offensichtlich - im Geringsten zu entschuldigen. Im 19. Jahrhundert, in einer sehr nationalistischen Ära, sowohl in Frankreich als auch in Deutschland, war es üblich (welch ein Horror), die Juden zu verunglimpfen. Nietzsche hat sich aus diesem Grund mit dem Komponisten zerstritten. Lassen Sie uns feststellen (um ihn zu entschuldigen?), dass Wagner sehr gute Freunde der hebräischen Religionen hatte. Das Problem kommt später. Wagner ist schon lange tot. Ein gewisser Adolf von trauriger Erinnerung liebte seine Musik, aber vor allem die germanischen Legenden, die in seinen Partituren besungen wurden. Hitler hatte seinen Platz bei den Bayreuther Festspielen. Aus diesem Grund ist Wagner in Israel immer noch sehr unwillkommen.

Doch ein nicht nur musikalisch, sondern auch menschlich aussergewöhnlicher Dirigent, Daniel Barenboim, selber Jude, war überzeugt von der musikalischen Bedeutung Wagners und versuchte immer wieder, das Tabu zu brechen.

Das Aussergewöhnliche ist, dass er dies unter anderem mit dem von ihm gegründeten West-Eastern Divan Orchestra getan hat, das die Besonderheit hat, jeden Sommer junge Musiker aus Israel, Palästina, Syrien, Libanon, Ägypten und Jordanien zusammenzubringen.

Mit diesem Dirigenten, hier an der Spitze der Berliner Philharmoniker, verlassen wir Wagner mit dem Vorspiel zum dritten Akt der Meistersänger von Nürnberg.

https://www.youtube.com/watch?v=BhpB3w585jI

Thierry Dagon (Übersetzung: Isabelle Schmied)