Nachrichten

Jugend 15.05.2018

<< zurück

Interview mit dem neuen Dirigenten des Schweizer Jugendchors Nicolas Fink

Nicolas, du arbeitest mit Spitzenensembles aus ganz Europa. Was hat dich daran gereizt, die musikalische Leitung des Schweizer Jugendchors (SJC) zu übernehmen?

Ich habe einige Jahre nur mit Profis gearbeitet. Seit drei Jahren bin ich nun freischaffend. Zwar arbeite ich weiterhin mit Profiensembles, aber mir haben auch die Amateurchöre sehr gefehlt. Ich habe ursprünglich mit einem normalen Oratorienchor in Steffisburg begonnen und kenne die Arbeit mit den Laien auch durch andere Projekte sehr gut.

Was hast du denn bei der Arbeit mit den Profichören vermisst?

Es ist bereichernd, mit verschiedenen Leuten arbeiten zu können, das ist auch das Spannende am Chorleiterberuf. Als Orchesterdirigent hätte ich dieses Privileg nicht. Vor allem die Arbeit mit den jungen Sängerinnen und Sängern sagt mir besonders zu, weil ich hier sehr frei gestalten kann und den jungen Menschen viel mitgeben kann auf ihrem Weg. Der Schweizer Jugendchor ist da natürlich etwas ganz Besonderes durch seine frische Ausstrahlung und die Liebenswürdigkeit, die man hier zwischen den Sängerinnen und Sängern spürt.

Kannst du mir mehr über diese Liebenswürdigkeit erzählen?

Ich bin nun das dritte Jahr mit dem SJC unterwegs, die ersten beiden Jahre als Gastdirigent und jetzt als künstlerischer Leiter. Was mir schon zu Beginn wahnsinnig Eindruck gemacht hatte, war die Offenheit gegenüber neuen Sängerinnen und Sängern, es wird niemand ausgeschlossen und es gibt auch keine Grüppchen, sondern jeder wird akzeptiert, wie er ist. Bei uns verstehen sich angehende Akademiker und Handwerker ausgezeichnet. Wo trifft man so etwas sonst an?

Woran liegt das?

Das ist eine Kultur, die über viele Jahre aufgebaut wurde. Da muss ich meinen Vorgängern ein Kränzchen winden. Auch die stilistische Offenheit ist besonders. Niemand rümpft die Nase, wenn ich mit einem Volkslied komme. Im Gegenteil, das wird mit einer Inbrunst gesungen, die ich selten erlebt habe.

Punkto Repertoire: Was für Pläne hast du hier mit dem SJC?

Im Moment sind wir daran, das Profil zu schärfen. Der Chor hat in den letzten Jahren von den Beatles bis zu absolut unbekannten Komponisten alles gemacht. Ich würde dies gerne klarer definieren. Der SJC hat eine besondere Verantwortung gegenüber Schweizer Musik, deshalb ist die Messe à double chœur des Schweizers Frank Martin wieder auf dem Programm. Volkslieder werden in Zukunft eine sehr grosse Rolle spielen. Man soll die verschiedenen Traditionen kennen lernen: Für jemanden aus dem Thurgau ist die Volksmusik der Gruyère-Region weit weg. Auch Auftragskompositionen an Schweizer Komponistinnen und Komponisten wollen wir vergeben. Das ist aber alles im Wandel. Wir haben gemerkt, dass man mehr Zeit braucht.

Wofür?

Nehmen wir die Messe von Frank Martin, das schafft man nicht an zwei Wochenenden. Das Werk haben wir in zwei Saisons erarbeitet und jetzt müssen wir Erfahrungen sammeln damit. Ich werde versuchen, nicht mehr saisonal zu arbeiten, sondern längerfristiger.

Wie oft probt ihr denn?

Bis jetzt war es immer so, dass wir zwei Probewochenenden im ersten Quartal hatten und eine Woche nach Ostern. Zwischen Mai und September standen Konzerte an und im Januar haben wir wieder neu begonnen. Eine meiner Neuerungen wird sein, dass man diese Probephasen besser verteilt, damit man das Level viel konstanter halten kann.

Du arbeitest mit Profi- und mit Laienchören. Welche Unterschiede stellst du fest?

Grundsätzlich arbeite ich nicht anders mit Amateurchören als mit Berufschören. Aber ich habe ein anderes Tempo und kann andere Dinge voraussetzen. Bei den Profichören hat jede Sängerin und jeder Sänger eine Gesangsausbildung. Bei den Amateurchören und Jugendchören im Besonderen muss ich zuerst herausfinden, was ich voraussetzen kann, was ich aufbauen muss und wo vielleicht auch technische Grenzen liegen. Weil der Jugendchor aber so ambitioniert ist, ist das natürlich eine Spielwiese für mich, weil ich hier so genannte „Chorerziehung“ machen kann. Das ist vielleicht ein unschönes Wort, meint aber folgendes: Wie verhalte ich mich in einer Probe? Was ist die Verantwortung des Dirigenten und der Singenden?

Kannst du das ein wenig ausführen?

Ich möchte, dass sich die Register untereinander besser kennen. Menschlich und musikalisch. Und als Gruppe Verantwortung übernehmen. So kann man rascher auf einer anderen Ebene arbeiten, die über Intonation oder die richtigen Töne hinausgeht, und sich auf das wirklich Musikalische konzentrieren. Damit können wir tiefer in die Werke eindringen.

Hast du Visionen, wo der SJC hin soll?

Klar möchte ich, dass das musikalische und technische Niveau weiter steigt. Dabei ist mir aber wichtig, dass wir nicht ein Profichor sein wollen. Wir haben jetzt gerade mit dem grossartigen Deutschen Jugendkammerchor ein Konzert gemacht. Dort sind fast ausnahmslos Musikstudierende tätig. In Deutschland herrschen ganz andere Verhältnisse, es gibt viele Profichöre mit festen Anstellungsbedingungen. Der Jugendchor in Deutschland bildet die Brücke zwischen Amateur- und Profimusik. Der SJC hat aber eine andere Aufgabe.

Nämlich?

Die Aufgabe des SJC ist es meiner Ansicht nach, ein Chor zu sein, der Menschen aus verschiedenen Regionen und mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenführt. Alle nehmen sich hier Zeit, um auf möglichst hohem Niveau zusammen zu musizieren. Es ist mir sehr wichtig, dass der SJC jungen Leuten die Möglichkeit bietet, sich musikalisch weiterzubilden und zu vernetzen. Aus dem SJC sind viele Ensembles entstanden, die momentan in der Schweiz Furore machen, wie das CONSONUS-Vokalensemble oder touCHant. Auch viele DirigentInnen wie Mauro Ursprung, der Assistent war oder Jessica Marty sind aus dem SJC in die Schweizer Chorszene gesickert. Diesen Ausbildungsgedanken möchte ich gerne weiterentwickeln und noch mehr jungen Dirigentinnen und Dirigenten die Möglichkeit geben, mit dem Ensemble zu arbeiten. Der Schweizer Jugendchor soll weiterhin das Flaggschiff der Schweizer Jugendchorszene bleiben.

 

Weitere Informationen über Nicolas Fink:

http://www.nicolasfink.ch/de/

*************

Stellenanzeige

Beim Schweizer Jugendchor sind aktuell zwei Stellen als Assistenz des künstlerischen Leiters zu besetzen. Zum Stelleninserat:

http://schweizerjugendchor.ch/index.php/de/assistenz

Isabelle Schmied